Pressemitteilung
Lausanne, 11 octobre 2023

Zur besseren Vorbeugung: Studie untersucht die während vier Jahren in den HUG und im CHUV behandelten sexuellen Übergriffe

Die Notaufnahmen der Geburtshilfe und Gynäkologie der Universitätsspitäler von Genf (HUG) und Lausanne (CHUV) sowie das Westschweizer Universitätszentrum für Rechtsmedizin (Centre Universitaire Romand de Médecine Légale — CURML) Lausanne-Genf haben auf der Grundlage der Daten der Jahre 2018 bis 2021 eine retrospektive Studie über die in diesem Zeitraum von Patient/innen im Alter von über 14 Jahren in den beiden Spitälern gemeldeten sexuellen Übergriffe durchgeführt. Im Rahmen der Studie wurden 740 gemeldete Übergriffe sowie ihr Kontext und die Merkmale der Opfer untersucht. Ziel ist es, einen Beitrag zu Prävention, Information und Versorgung der Opfer zu leisten. Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass es in der Schweiz an Daten mangelt, obwohl diese unerlässlich sind, um wirksame soziale, wirtschaftliche, politische und gesundheitliche Massnahmen zu gestalten.

Die gynäkologisch-geburtshilfliche Notaufnahme des CHUV befindet sich im Gebäude der Maternité. @CHUV Gilles Weber

Ziel der Studie war die Feststellung konkreter Tatsachen über den Kontext der gemeldeten Übergriffe. Diese sind unentbehrlich, um bestimmten Vorurteilen entgegenzuwirken, wirkungsvolle Präventionskampagnen zu konzipieren, die Versorgung der Opfer zu verbessern und die Anforderungen des Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Istanbul-Konvention zu erfüllen.

Vorsicht an Wochenenden und bei Substanzkonsum
Die Studie offenbart, dass an Wochenenden doppelt so viele sexuelle Übergriffe als unter der Woche gemeldet werden. Im Sommer liegen die Fallzahlen um etwa 50 % höher und so entfällt ein Drittel der gemeldeten sexuellen Übergriffe auf diese Jahreszeit. Sie betont, dass ein Grossteil der Übergriffe (nahezu 6 von 10) von Bekannten der Opfer und in der Wohnung des Täters oder des Opfers verübt werden.

Die vollständige Beschreibung des Kontexts der Übergriffe wird oft dadurch erschwert, dass die Opfer sehr häufig eine Amnesie erleiden. Diese kann Folge des Konsums von Substanzen (Alkohol, Drogen), der in solchen Situationen sowohl bei den Tätern als auch bei den Opfern weit verbreitet ist, oder auch Manifestation einer peritraumatischen Dissoziation, eines Mechanismus zum Schutz des Gehirns vor schädlichen Wirkungen eines traumatischen Erlebnisses, sein.

Die Studie betont, dass die präzise Dokumentation der von den Opfern erlittenen Verletzungen für die Strafverfolgung von grosser Bedeutung ist und es daher sehr wichtig ist, erlittene Übergriffe zu melden und so schnell wie möglich ein Spital aufzusuchen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass ein früherer sexueller Übergriffsfall ein grosser Risikofaktor für eine erneute sexualisierte Viktimisierung ist. Die vollständige Studie und ihre Zusammenfassung enthalten zahlreiche weitere Feststellungen.

Über 700 untersuchte Fälle
Für den 48-monatigen Studienzeitraum wurden 962 Datensätze zu sexuellen Übergriffen untersucht, von denen 740 die Ein- und Ausschlusskriterien erfüllten. Diese Zahl liefert kein genaues Bild des Problems in der Region, da Scham, Angst, Stigmatisierung oder andere Hindernisse eine unbekannte Anzahl von Personen davon abhalten, Übergriffe zu melden oder sich behandeln zu lassen. Die Altersspanne der Opfer lag zwischen 14 und 93 Jahren, mit einem Median von 24 Jahren. Die Studie wurde vom Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) und den HUG finanziert.

Für einen nationalen prospektiven Datensatz
Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass es keine nationale Beobachtungsstelle für Personen gibt, die wegen eines sexuellen Übergriffs zur Konsultation in Schweizer Spitäler kommen. Im November 2022 begann jedoch in den Westschweizer Spitälern eine multizentrische prospektive Studie mit einer medizinischen Überwachung der Personen, die aufgrund eines gemeldeten sexuellen Übergriffs zu einer Konsultation kommen, nach drei und zwölf Monaten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befürworten die Fortsetzung dieser Studie auf nationaler Ebene, da dies zu einem besseren Verständnis der Situation beitragen und es ermöglichen würde, Frauen und Männer über Präventions-, Betreuungs- und Aufklärungskampagnen gegen sexuelle Übergriffe und ihre Folgen zu informieren.

Spezialisierte Betreuung an den HUG und am CHUV
Die Gynäkologische Abteilung der HUG erstellt jedes Jahr etwa 150 Meldungen über sexuelle Übergriffe; das CHUV etwa 130. Sie bieten Opfern eine ganzheitliche und interdisziplinäre Versorgung, unabhängig davon, ob die betroffene Person eine Anzeige erstattet hat oder nicht.

Die HUG: Medizinische Versorgung, Ausbildung und Spitzenforschung
Die Genfer Universitätsspitäler (HUG) vereinen acht öffentliche Spitäler und zwei Kliniken. Zu ihren Aufgaben zählen die Erbringung von Pflegeleistungen für die Bevölkerung in sämtlichen medizinischen Fachbereichen, die Beteiligung an der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten und medizinischem Fachpersonal und die Durchführung von Forschungen in den Bereichen Medizin und Pflege. Die HUG vereinen die nationalen Referenzzentren für Influenza, neuauftretende Virusinfektionen, Meningokokken sowie für die Transplantationsimmunologie und das nationales Referenzlabor für Histokompatibilität. Sie sind WHO-Kompetenzzentren in sechs Bereichen und Exzellenzzentren  auf mehreren Gebieten. Die HUG behandeln 260 000 Personen pro Jahr, verfügen über 2000 Spitalbetten und beschäftigen 12 788 Mitarbeitende. 

Das CHUV in Kürze

Das CHUV gehört neben Genf, Bern, Basel und Zürich zu den fünf führenden Universitätspitälern der Schweiz. Es erfüllt drei Grundaufträge, die ihm vom Staat anvertraut werden: Behandlung, Ausbildung und Forschung. 

Dank seiner 12'675 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden 2023 im CHUV 53'964 Patientinnen und Patienten stationär aufgenommen. 79'545 Notfälle wurden behandelt und 3’154 Geburten begleitet. Sein jährliches Budget beläuft sich auf 1,9 Milliarden Franken. 

Um die Aus-, Weiter- und Fortbildung von Ärztinnen und Ärzten sicherzustellen, arbeitet das CHUV eng mit der biologischen und medizinischen Fakultät der Universität Lausanne zusammen. Es kooperiert ausserdem mit anderen Hochschuleinrichtungen aus der Genferseeregion (EPFL, ISREC, Institut Ludwig, Universität Genf), dem Universitätskrankenhaus Genf sowie anderen Spitälern, Pflegeeinrichtungen und Institutionen, wie beispielsweise der Fédération des hôpitaux vaudois (Vereinigung der Waadtländer Spitäler) und der Société vaudoise de médecine (Waadtländer Gesellschaft für Medizin).

Seit 2019 gehört das CHUV laut dem Nachrichtenmagazin Newsweek zu den besten Krankenhäusern weltweit.